Frankfurter Neue Presse, 27.2.2023, Bad Nauheim (hms): Vier Jahreszeiten und elf Tangos, zwei Violinen, wahlweise eine Viola, Temperament, Pfiffigkeit und Virtuosität: Das war die Mischung, aus der das Kammerkonzert am Sonntag in der Trinkkuranlage bestand. »The Twiolins« zauberten einen Klangkosmos, der einfach nur begeisterte.
Es soll Musikliebhaber geben, die mit Piazzolla nichts anzufangen wissen. Spätestens nach dem Konzert hatte sich das gründlich geändert. Das violinvirtuose Geschwisterpaar hatte sich vorgenommen, das Publikum mit »Eight Seasons« aus der Reserve zu locken. Das ist ihnen gelungen. Der Konzertsaal war – ausverkauft. Am Ende stampften und klatschen die Zuhörerinnen und Zuhörer, charmant und humorvoll angeheizt von Christoph Dingler, dem einen Twiolin. Seine Schwester Marie-Luise bat zwischen zwei Zugaben, dass man nach der langen Zeit der Entbehrung unbedingt wieder in Konzerte gehen solle, gerade auch im Abonnement.
Während die pfiffige Zugabe von Beethovens »An Elise« für Violinduo von Christoph Dingler humoresk arrangiert und angesagt, erst während der Pandemie entstand, sind die Eight Seasons schon Klassiker. Das von ihm grandios arrangierte gut 90-minütige Werk ist bereits mit der Silbermedaille der Global Music Awards ausgezeichnet und war für den Echo Klassik nominiert. Es war wohl ein Abenteuer, Antonio Vivaldis »Vier Jahreszeiten« auf zwei Violinen zu reduzieren. Doch die Lust sei so groß gewesen, erzählte Dingler, dass er diese Aufgabe in zwei Wochen erledigt habe.
250 Jahre verschmelzen
Damit brachte er neues Leben in dieses Werk. Dazu wählte er mit Feingefühl die passenden Tangos des argentinischen Tangomeisters Astor Piazolla aus. Er konnte das neue Werk exakt auf seine Schwester und sich schreiben, denn, aus einem durch und durch musikalischen Hause stammend, spielen sie seit Kindheit zusammen und wurden sechsmal Bundespreisträger bei Jugend musiziert. Inzwischen widmen sie sich neben internationaler Konzerttätigkeit vor allem ihrem 2009 gegründeten »Progressive Classical Music Award«.
»Eight Seasons« ist ein Verschmelzen von 250 Jahren Kompositionsgeschichte, von Melodien und Rhythmen, von Emotionen und Erzählung. Nach Frühling, Sommer, Herbst und Winter geordnet, hat Dingler die Piazolla-Themen Engel, Melancholie und Mystik, Jagd und die Sehnsucht des Tangos zugeordnet. Er lässt Grenzen verschwinden, schlägt Bögen zwischen den einzelnen Teilen, die so weit gehen, dass per Ansage seine Schwester die Geige nicht absetzt, um die Spannung zu erhalten.
Was die beiden Komponisten auf geniale Weise verbindet, spürt das Publikum bald: Sie ändern nicht nur ständig Tempo und Rhythmus, packen oft zwei Melodien gleichzeitig an und verlangen eine ebenso gefühlvolle wie virtuose künstlerische Umsetzung. Es gibt reichlich Gelegenheit, um den Melodienball hin und her zu spielen, um geheimnisvoll oder furios die Geschichten von Sturm und Donner, von Vogelgezwitscher und Engelsschwingen, von der wilden Jagd, dem warmen Kamin oder dem knisternden Eis hörbar zu machen. Dabei vereinen sie ihre Violinen im Unisono, egal wie schnell, reizen die Dynamik aus, weben ihre Tonmuster stolz oder zärtlich.
Um auch dunklere Färbungen einfließen zu lassen, greift Christoph Dingler bei einigen Stücken zur Viola. Die barocken Harmonien scheinen sich in gläserner Transparenz aufzulösen, sodass man fast nicht mehr weiß, ist das schon Piazolla oder noch Vivaldi? Es ist kein Duell Argentinien gegen Italien, sondern ein immer wieder überraschendes Duett.
Und was große Bewunderung abverlangte: »The Twiolins« spielten auswendig. Noch nicht einmal als hinten im Saal ein Notfall kurz für Unruhe sorgte, ließen sie sich aus dem Takt bringen. Das Publikum zollte nach dem Konzert mit Bravorufen und kräftigem Applaus einer bewundernswerten Leistung Hochachtung.
Wir bedanken uns bei der Frankfurter Neuen Presse für die Bereitstellung des Artikels.