Lippstadt, Der Patriot, 3.5.2023: Ein paar musikalische Abenteuer gefällig, vielleicht welche im Klassikbereich? Denn ewig in den Konzertsälen Mozart und Beethoven zu hören, kann mit der Zeit auch ermüdend sein. Wie wäre es zur Abwechslung mal mit zeitgenössischer Musik? Dass diese wundervoll spritzig und energiegeladen ist, haben jetzt die Twiolins mit ihrem Programm Dopamine Rush“ in der Jakobikirche bewiesen. Gespielt wurden bei diesem Konzert des Städtischen Musikvereins Lippstadt vorrangig Stücke von jüngeren Komponisten.
Es ist wie ein großer, lustvoller Rausch. Stürmisch, spannungsgeladen und vor allem ungemein witzig wirkt Daniel Bergs Stück „Chicken Race“. Der Ablauf eines Wettrennens ist in Marie-Luise und Christoph Dingler Interpretation direkt hör- und fühlbar. Und vor allem macht es unheimlich Spaß, den beiden Geschwistern bei ihrem lebhaften Violinspiel zuzuhören.
Sobald nämlich The Twiolins zu ihren Violinen greifen, startet das Kopfkino. Spieltempo und Stimmung machen es leicht, sich in die Gegebenheiten eines Wettrennens einzufühlen. Man spürt einen kleinen Moment der Entspannung, bevor das Spiel Fahrt aufnimmt. Mit zunehmendem Tempo meint man, die atemlos um die Wette laufenden Hühner zu erkennen. Man ahnt, wie sie sich abmühen, wie sie all ihre Kräfte mobilisieren, um noch schneller voranzukommen. Die Töne der Violinen klingen dabei spitz, so als würden die Hühner im „Chicken Race“ um ihr Leben rennen. Und dann, als es vom Klang kaum noch spitzer und schriller geht, das Spiel geradezu atemlos wird, ist plötzlich Schluss. Das Ziel scheint erreicht. Die Hühner liegen am fix und fertig am Boden, könnte man denken.
Ein großes Glück ist es, dass The Twiolins eine Vielzahl solcher erfrischender Stücke, die so viele Assoziationen zulassen, im Repertoire haben. Dass die Auswahl so groß ist, hängt mit dem von Marie-Luise und Christoph Dingler initiierten Komponistenwettbewerb zusammen. Die Werke der Preisträger nehmen sie nämlich mit in ihr Programm auf.
Da gibt es dann so eigenwillig lautende Titel wie „Chase me“, „Eight Strings“, „In Afterglow“ oder aber „Schillers Nachtflug“. Und man liest auf dem Programmzettel Namen von Komponisten wie Alex Alrich, Dawid Lobowicz, Jürgen Christ, Rainer Bartesch und Edmund Jolliffe.
Schon mal etwas von diesen Komponisten gehört? Vermutlich nicht, aber man sollte sich diese Namen merken. Denn egal, welches Stück Marie-Luise und Christoph Dingler auch interpretieren, alles bereitet großes Vergnügen.
Benedikt Bryderns „Schillers Nachtflug“ hat beispielsweise etwas Melancholisch-Schwermütiges. Eindringlich poetisch entfaltet sich das Geigenspiel im weiteren Verlauf. Es ist eine Melodie zum Eintauchen, sich Verlieren und vor allem ist es eine sehr sinnliche Musik, die zum Träumen einlädt.
Eine Tonsprache für die Unendlichkeit findet das Streicherduo indes in Vladimir Torchinskys Stück „Eight Strings“. Da dehnen sich die Töne regelrecht in den Raum aus. Sie finden zu keinem Abschluss. Mit jedem neuen Ton potenziert sich das Ausdehnen um eine weitere Facette. Das ist ein Hauch gefühlter Unendlichkeit, und die Musiker lassen dieses Stück am Ende dann wie dahingehaucht ausklingen.
Lustvoll ist es allemal, den Twiolins zuzuhören, wie sie zeitgenössische Klassik interpretieren und damit zeigen, wie aufregend diese Musik ist. Zustande kommt dabei ein wilder Stilmix. Die Melodien sind harmonisch, melancholisch, aber eben auch wild, exzentrisch, abenteuerlustig und vor allem sehr sinnlich.
Natürlich kommt das Konzertprogramm nicht gänzlich ohne große Namen aus. So findet sich im Konzertprogramm unter anderem auch ein Stück von Fazil Say. Sein Stück „Kumru“ klingt so lieblich ein Wiegenlied. Mitunter hört sich das Streicherspiel so an, als würde jemand die Töne zart pfeifen.
Und noch ein anderer bekannter Klassiker ist beim Konzert zu hören. Astor Piazzollas „Oblivion“ spielen die Musiker aus Mannheim kraftvoll, aber eben auch mit der nötigen sehnsüchtig-sinnlichen Poesie. Dabei hat das Arrangement von Christoph Dingler den typischen Twiolin-Sound. Gleiches trifft übrigens auch auf die Zugabe zu. Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ sind hier ein abenteuerlich schneller Parforceritt durch das Stück. Das ist wie im Zeitraffer gespielt, und es ist ein großes Vergnügen.
Von Dagmar Meschede. Foto privat.